Zurück

Magnus Schwantje (1877 - 1959)

Der Tierschützer und Pazifist Magnus Schwantje auf dem Himmelhof, Ostern 1898; beim Berliner Friedenskongress von 1912  und im Alter

Magnus Schwantje war 1898 gleichzeitig mit Gusto Gräser Schüler von Diefenbach auf dem Himmelhof bei Wien. Er wurde später der rührigste Vorkämpfer für Tierschutz und Tierrechte im Deutschland des 20. Jahrhunderts. Von ihm stammt die meist Albert Schweitzer zugeschriebene Formulierung „Ehrfurcht vor dem Leben“. „Der Mensch im Frieden mit der Natur“ – mit diesen, dem Vorgang Diefenbachs folgenden Worten beschrieb er am 19. April 1916 beim Vegetarisch-sozialen Kongress in Ascona sein „Traumbild“. Seine hier abgedruckte Rede dürfte auf dem Monte Verità gehalten worden sein.

Am 13. Mai 1898 schrieb Schwantje aus dem Himmelhof an seine Familie:

„Die Lage Diefenbachs ist weiter ... eine sehr schwere und bedrängte ... aber bei aller Bedrängniß herrscht ein ungemein heiterer, lebensfroher Ton in der "Humanitas", (d. i. der Name der großen Familie Diefenbach). …

Also am Sonntag, den 1. Mai bin ich herausgefahren ... Morgens um fünf Uhr stehen wir schon auf; jedes Mal nach dem Essen wird Fußball gespielt oder eine ähnliche Thätigkeit zur Erholung unternommen; alle Paar Stunden wird eine kleine Pause gemacht, in der Klavier gespielt wird oder der Meister die gerade vorliegenden Arbeiten und Vorfälle bespricht; sobald es dunkel wird, wird die Arbeit niedergelegt und ein Spaziergang gemacht, gespielt, gesungen und musiziert; etwas nach 9 Uhr legen wir uns zu Bett, dabei sind die Arbeiten so leichter Art, daß sie mich auch bei 12-stündiger, unausgesetzter Arbeit nicht einen Teil so anstrengen würden wie die bisher im Geschäft von mir geleisteten. Nach alledem braucht Ihr nicht zu befürchten, daß ich mich überanstrenge, im Gegenteil ist mir der Aufenthalt bei D. körperlich so wohltuend wie ein zur Erholung genommener Landaufenthalt. Der "Himmelhof" liegt landschaftlich sehr schön auf einem kleinen Hügel außerhalb der Stadt; gleich wenn man nur aus dem Hause heraustritt, bekommt man sehr schöne Landschaften zu sehen. Die Hausgenossen, jetzt 16 an der Zahl, teils Maler, teils sehr mit schriftlichen Arbeiten beschäftigt, teils in der Ausstellung, sind alle mir sympathische Menschen, das ist schon eine große, seltene Wohltat für mich, für einige fühle ich sogar schon eine herzliche Zuneigung.“

Die Lebensgemeinschaft ‚Humanitas’ war – für die Gräsers zumindest – in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung Vorbild für die Aussteiger-Siedlung auf dem Weinberg von Ascona. Es lag daher für Schwantje nahe – und im Kriegsjahr 1916 mehr als je – seine Rede gegen Tiermord und Menschenmord auf dem Monte Verità zu halten.   In Deutschland war seine Zeitschrift, die ‚Ethische Rundschau’, schon 1915 verboten worden. Der „Vegetarisch-soziale Kongress“, bei dem er auftrat, ist bis heute in der Literatur zum Monte Verità unbekannt geblieben, vermutlich deshalb, weil. ein derartiger Protest gegen den Krieg weder in Deutschland noch in der Schweiz genehm war. Die Siedlung der pazifistischen Reformer auf dem Monte Monescia bot 1916 eine der wenigen Inseln, auf denen Widerstand offen zu Wort kommen konnte.





 
Rede in Ascona 19.4.1916



 
Ehrfurcht vor dem Leben


Schwantje gegen Diefenbach

Eine missglückte Entlarvung

Der 1877 in Oldenburg geborene Magnus Schwantje lernt als Buchhandlungsgehilfe in Wien den Maler und Lebensreformer Karl Wilhelm Diefenbach kennen und schließt sich im Frühjahr 1898 dessen 'Humanitas'-Gemeinschaft an. Das Datum seines Eintritts ist nicht bekannt; doch steht zu vermuten, dass er anläßlich von Diefenbachs großer Gemäldeausstellung mit dem Meister in Berührung gekommen ist.

Schwantje hatte schon als Neunzehnjähriger, ohne die Tierschutzbewegung zu kennen, eine polemische Schrift gegen das Jagdunwesen verfasst. Es ist nicht auszuschließen (aber auch nicht belegt), dass er dazu durch Diefenbach angeregt worden ist, der sowohl in München wie in Wien, wo Schwantje sich aufhielt, eine stadtbekannte und vielbesprochene Figur war. Zu dessen populärsten Bildern gehörte das Ölgemälde "Alpenjäger" oder "Du sollst nicht töten!" nach dem Gedicht von Schiller, eine Mahnung und Anklage gegen die Jagd.

Jedenfalls muss Schwantje in Diefenbach die leibhaftige Verkörperung seiner Ideale gesehen haben; eine Aufnahme von Ostern 1898 zeigt ihn inmitten der Himmelhof-Gemeinschaft (allerdings nicht in Diefenbachtracht), übrigens zusammen mit dem ebenfalls noch zivil gekleideten "Novizen" Gusto Gräser.

Schon bald jedoch muss es zu einer Ernüchterung und Enttäuschung gekommen sein. Zusammen mit dem Journalisten Baumgartner und der Diefenbach-Vertrauten Hilaris gehört Schwantje zu einem Trio der Verschwörung gegen den Meister. Baumgartner und "Hilaris" (bürgerlich: Mathilde Oborny) verlassen heimlich das Haus unter Mitnahme von Photos und Briefen, die den Meister belasten sollen. Schwantje war ihnen angeblich bei der Beiseiteschaffung von Kleidungsstücken behilflich. Er selbst verlässt ebenfalls den Himmelhof, jedoch offen und nach deutlicher Darstellung seiner Gründe.

Welcher Art diese Gründe waren, wird aus dem vorliegenden Material nicht klar. Vermutlich ging es um den Vorwurf versuchter Abtreibung (bei Fidelis) und die sexuellen Beziehungen Diefenbachs überhaupt. Baumgartner und Schwantje versuchten in der Folge, ihren einstigen Meister in einer Broschüre und mithilfe der entwendeten Dokumente zu "entlarven". Schwantje scheint diese Absicht, nach Distanzierung von seinen Komplizen, sogar hartnäckiger als diese verfolgt zu haben. Während Hilaris reumütig zum Meister zurückkehrt, legt Schwantje seine Broschüre dem gegen Diefenbach aufgebotenen Gerichtsarzt vor und hat damit möglicherweise zur Entmündigung seines früheren Meisters beigetragen, jedenfalls muss dies seine Absicht gewesen sein.

Woher diese scharfe Wendung gegen einen einstmals Hochverehrten? Wir wissen es nicht. Fingerzeige können allerdings die beteiligten Personen und das von den Verschwörern entwendete Material geben. Hilaris, ein ehemaliges Malermodell, der Trunksucht ergeben, war die enge Vertraute des Meisters, seine Pflegerin und Bettgenossin gewesen. Die entwendeten Briefe stammten von Elisabeth Guttzeit, die Jahre früher als "Fidelis" die selbe Stellung in Diefenbachs Leben eingenommen hatte. Vermutlich stieß sich Schwantje an dem offenkundigen Widerspruch, dass der nach "Gottähnlichkeit" strebende, seine Schüler zur Vollkommenheit führen wollende, sich gerne in Christuspose gebende Meister einerseits Polygamie für ein menschliches Naturrecht hielt und heimlich auch praktizierte, andererseits seinen Jüngern jede erotische Regung bei Strafe der Ausweisung untersagte. Hier waren in der Tat Gründe für eine "Entlarvung" gegeben, zumal Schwantje in der Person der Hilaris eine Zeugin benennen und in den Briefen der Fidelis vermeintlich belastendes Material vorlegen konnte.

Allerdings scheint dieses für eine Anklage nicht ausgereicht zu haben, ja, Diefenbach konnte sogar den Spieß umdrehen und gegen Baumgartner Anzeige erstatten. Von alledem ließ sich Schwantje jedoch nicht beeindrucken. Er scheint nun seine Zielsetzung dahingehend geändert zu haben, dass er versuchte, Diefenbach für unzurechnungsfähig erklären zu lassen. Nur zu diesem Zweck kann er seine Broschüre dem Gerichtsarzt vorgelegt und geradezu aufgedrängt haben.

Was ihn zu solch extremen Schritten bewegte, bleibt unklar. Ob ihn wirklich, wie einstige Mitjünger meinten, nur der Durst nach Rache trieb, nachdem Diefenbach ihn ein kleines Würmchen genannt hatte?

Schwantje wurde ein hingebungsvoller Vorkämpfer für Tierschutz und Lebensreform. Die durch Albert Schweitzer berühmt gewordene Losung 'Ehrfurcht vor dem Leben' soll von Schwantje geprägt worden sein. Seinen einstigen Lehrer Diefenbach, immerhin ein Pionier und Vorbild auf diesem Feld, scheint er nicht mehr erwähnt zu haben. In der biographischen Einleitung zu seinen 'Gesammelten Werken' (1976) bleibt Schwantjes Aufenthalt bei Diefenbach ungenannt.


Zurück