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Steppenwolf

Hesses Erzählung, dieser meistgelesene deutschsprachige Roman des 20. Jahrhunderts, ist zwar millionenfach gedruckt, tausendfach interpretiert worden. Sein eigentliches Motiv, der Lebenshintergrund dieser Beichte, ist jedoch unerkannt geblieben.

Es handelt sich um eine Selbstanklage des Dichters, die ohne seine Jüngerschaft zu Gusto Gräser nicht in ihrem vollen Ernst, ihrer Schärfe und Bitterkeit, zu verstehen ist. Hesse klagt sich an, seinem großen Vorbild nicht gefolgt zu sein, den Sprung aus der Bürgerwelt nicht vollzogen zu haben.

Den geistigen Verführer, den Staat und Gesellschaft ächteten, vermochte er als seinen Bruder zu lieben … Mit Bewußtsein verachtete er den Bourgeois und war stolz darauf, keiner zu sein. Dennoch lebte er in mancher Hinsicht ganz und gar bürgerlich … „

Er war „ein Zwangshäftling des Bürgertums“ geblieben, der „aus irgendeiner Schwäche oder Trägheit heraus den Schwung in den freien wilden Weltraum nicht nehmen konnte“. Er war zwar von „jenen seltenen Einzelnen“ begeistert, „denen heute das Schafott, morgen das Ehrendenkmal berteitet wird“ – und er denkt dabei an seinen Freund -, „aber jene höchste Forderung, jene echte, vom Geist gesuchte Menschwerdung zu bejahen und anzustreben, den einzigen schmalen Weg zur Unsterblichkeit zu gehen, davor scheut er sich doch in tiefster Seele. Er fühlt recht wohl: das führt zu noch größerem Leiden, zur Ächtung, zum letzten Verzicht, vielleicht zum Schafott“, zum „Erdulden jener äußersten Vereinsamung, die um den Leidenden, den Menschwerdenden alle Bürgeratmosphäre zu eisigem Weltäther verdünnt, jener Vereinsamung im Garten Gethsemane“.

Damit haben wir ein deutliches Bild, wie Hesse seinen Freund sah und erlebte. Er sieht ihn als den „Menschen im hohen Sinn“, den „königklichen Menschen“, als einen der Unsterblichen. Die Verzweiflung aber, die Selbstverachtung über die eigene Feigheit treibt ihn dem Selbstmord zu.

Dieser begabte und interessante Herr Haller hatte zwar Vernunft und Menschlichlichkeit gepredigt und gegen die Roheit des Krieges protestiert, er hatte sich aber während des Krieges nicht an die Wand stellen und erschießen lassen“ – wie sein Freund Gusto Gräser, der seiner angekündigten Hinrichtung (die dann doch nicht vollzogen wurde) unerschrocken ins Auge sah. Mehr noch: Er hatte die Lehren und Erkenntnisse seines Freundes als seine eigenen weitergegeben und war damit zu Ruhm und Erfolg gekommen.

Gott befohlen, der Teufel wird dich holen, verhauen und versohlen für dein Schreiben und Kohlen, hast ja alles zusammengestohlen.“

Dies seine Not, dies seine öffentlich-heimliche, nämlich wiederum namenlos, bezuglos bleibende Beichte. „Pfui Teufel, er war zum Erbrechen, dieser Herr Haller!“ fühlt und bekennt er selbst.

Was ihm bleibt: der Glaube an die Unsterblichen und die Hoffnung, von ihnen zuletzt doch das befreiende, das helle, wilde, das außerirdische Lachen zu lernen. Nur das Lachen rettet ihn vor der Hinrichtung. „Sie sollen lachen lernen, das wird von ihnen verlangt“. Er schreibt diese Forderung Mozart zu, gehört hat er sie aber von einem anderen Meister:

Sei – uns – mal – froh,

Du ausgerutscht, verpfuschtes Freundelein!

Herzmann schlägt an, schlägt ein mit Donnerwetterlachen,

denn so ein Mann kann Wunderscherze machen – was machen -

blitzen aus Urmutterwitz, den Allzugsetzten, hui, in ihren Sitz!

Lach mit, blüh mit, mit Tier und Baum und Strauch,

und lach mit dem, den wie es heisst imgrund

doch jeder hat – mit deinem Vogel auch!

Nun erst verstand ich Goethes Lachen, das Lachen der Unsterblichen. Es war ohne Gegenstand, dieses Lachen … es war das, was übrigbleibt, wenn ein echter Mensch durch die Leiden, Laster, Irrtümer, Leidenschaften und Miss-verständnisse der Menschen hindurchgegangen ist und ins Ewige, in den Weltraum durchgestoßen ist.“

Voll Herzgottblitz-Lachkrachezorn,

voll heiligen Wilddonnerwettern,

Urgewittern,

einschlagend, hahahooo, mit Wonnekrach

in Schwindelschwülkulturschwulsts

O und Ach!!!

Allwissend und voll Spott klang Mozarts lautloses Lachen. … Und auf drei stimmten sämtliche Anwesende mit tadellosem Einsatz ein Gelächter an im höhern Chor, ein furchtbares, für Menschen kaum erträgliches Gelächter des Jenseits.“

Den Menschen zu erringen, Ihr Redlichen, heran,

auf dass wir höher bringen, was lachend leben kann!

hatte Gräser im Sommer 1918 an Hesse geschrieben. „Oh, ich begriff alles, begriff Pablo, begriff Mozart, hörte irgendwo hinter mir sein furchtbares Lachen … Einmal würde ich das Lachen lernen.“



Die Dramatisierung von Hesses ‚Steppenwolf’ durch Joachim Lutz
war im Wiener Burgtheater von 2005 bis 2007 auf dem Spielplan