Maria Schede

Lehrerin aus Leipzig, von Diefenbach „Eiszapfen“ genannt

5. 8. 1913  Heute vor einem Jahr bin ich vor der rasenden Brutalität meines Sohnes Helios gegen mich von hier weg nach Palermo geflüchtet. Heute früh verließ ich nach völlig schlafloser Nacht mein Lager in der freudigen, belebenden Hoffnung, in einer Stunde die Bestätigung der Aussicht zu erhalten, die mir gestern abend in der feierlichen Stille und Einsamkeit der Malerplatte zuteil geworden war: ein Weib gefunden zu haben, das zusammen mit seiner Schwester mein schreiendes Bedürfnis nach sympathischer weiblicher Umgebung zu befriedigen vermöchte. Nach 3stündigem beängstigendem Warten kommt Sela Tannenberg, gerade in dem Augenblick, als Lilli mir das Frühstück brachte. ...

Den Brief nachmittags zu schreiben wurde ich gehindert durch den Besuch der Leipziger Lehrerin, [geschwärzt: Marie Schede], 48 Jahre alt, humorvoll und künstlerisch gebildet, die schon tags zuvor meine Ausstellung besichtigt hatte und jetzt mit höchstem Interesse in meine Werkstätte kam. Sie spielte und sang mir vor, als ob sie altbekannt mit mir wäre, während ich mich, essend, auf meinem Lager ausruhte. (449)

[Eintragung von Maria Schede:] Brrrrr: Meister D. hatte mir eben erzählt, daß er früher alle Menschen "Du (?)" genannt habe. I. weil er den grammatic. Unsinn der "Sie" Anrede und II. die darin liegende conventionelle Fremdstellung der Menschen nicht mitmachen wollte. - M.Eiszapfen. (450)

Dann war Mme Claparède aus Genf mit ihrer Tochter gekommen, die ich zum "Cap Diefenbach" führen wollte. Die Leipzigerin schloß sich diesem Gange an ... Am Polyphem erklärten alle mit Ausnahme der Tochter von Mme Claparède und der Leipzigerin, daß ihnen der Weg zum Cap D. zu weit und zu gefährlich sei, worauf wir uns veraschiedeten und ich mit der Lehrerin allein weiter ging.

o. D. Dfb an Maria Schede, Leipzig: ... Bezüglich Deines Rates der Hinzuziehung eines Arztes bemerke ich ...

11. 8. 13  Enttäuschung meiner Hoffnung auf Anschluss der beiden Schwestern Tannen-berg ... da sie ebensowenig wie jene sich ein Doppelverhältnis zu mir, das ich von Natur aus für möglich und berechtigt halte, zu denken vermag.

12. 8. 13  Abreise dieses so tief für mich empfindenden Weibes (Marie Schede) ...

24. 8. 13  Telegramm an Marie Schede: Kaum kann ich mich noch halten. mögte ein starker Geist Deine Seele erleuchten. D.                                                             (Briefe S)


30. 8. 13 
Dfb an M. Schede aus Capri: Liebe gute Seele! ... die bei Deinem Abschiedsschmerze vergessenen Photogramme von mir ... Wenn Du mich nicht als "Maler", sondern als Menschheits-Pionier auffaßt, dessen Lebensziel in dem Zuruf Schillers an die Künstler ausgedrückt ist: "Erhebet Euch mit kühnem Flügel hoch über Euern Zeitenlauf; es dämmert schon in Eurem Spiegel das kommende Jahrhundert auf"! - dann wirst Du an die "Alles" überwindende Kraft meiner Seele glauben. Dfnbch.                                   (Briefe S)

30. 8. 13  Dfb an Sanitätsrat Dr.Goepel, Lpzg: ... entsprechende weibliche Umgebung zu finden. Die Möglichkeit einer solchen glaube ich gefunden zu haben in der Person der 48jährigen Lehrerin Marie Schede (Lpzg-Connewitz, Kochstr.119), seit 25 Jahren Lehrerin ... einen halbjährigen Erholungs-Ulraub zu erlangen ...

Marie Schede an Dfb: Dr.Göbel ließ mich kommen, sagte: Meister D. will Sie heiraten, ich soll Ihnen ... "ich bin doch gesund wie eine Haselnuß" ...                                       (Briefe S)

1. 11. 13  Dfb an Marie Schede:

Bezüglich der "Eifersucht" welche die Stellung Selas zu mir bei dem Münchener Fleischklotz (Lilli) erregen soll, scheinst Du der Letzteren Stellung zu mir völlig zu verkennen.                                                                                                    (Tgb 31, S.671)

5. 11. 13  Dfb an Emilie Hexamer, Bad Kreuznach: ... meine Tagebuchblätter und Briefauszüge über diese 2 Monate vor 3 Tagen an Marie Schede nach Leipzg geschickt, welche ich nach Dir anrief, an meine Seite zu kommen und die aus gleichem Grunde wie Du diesem Anruf nicht folgen kann, aber solchen Anteil an meinem Schicksal nimmt, daß ihr kurze briefliche Nachrichten nicht genügen.                                            (Tgb 31, S.693)

10. 11. 13  Tagebuch: Die Lebensfremdheit ... welche der theosophische Wahnsinn eines über dieses einzige, reale, Leben hinausschweifenden "Weitblicks" einer öfteren Wieder-geburt ... hat sie [wen?] dahin geführt, an mir irre zu werden und ihren Verkehr mit mir abzubrechen.                                                                                              (Tgb 31, S.717)

15. 12. 1913  Telegramm an Frl. Schede, Leipzig:

= 6 uhr unser vater ist uns entschlafen seine seele bleibt ewig mit uns = helios diefenbach.

               (LZ)

22. 12. 13  Schafheitlin an Marie Schede:

Ja, was haben wir verloren! Und wäre unser Freund wenigstens dahingegangen, wie ein schöner Sonnenuntergang; aber ach, sein Tod war, wie sein Leben, ein Sturm: unter plötzlich auftretenden, gewaltigen Schmerzen.

Nur vier Tage war D. krank, aber wie! Und doch fiel in seinen schrecklichen Todeskampf noch ein Sonnenstrahl. Eine zufällig hier anwesende freiwillige Krankenpflegerin aus Danzig, dern Bekanntschaft ich schon vor 4 Wochen gemacht, war die letzten Tage um ihn. Zu ihr sagte er noch: "Ich werde wohl diesmal nicht durchkommen; dann drücken Sie mir die Augen zu!" Und dies wird das herrliche Mädchen wohl auch getan haben. Ausserdem war noch um ihn die treue Seele, Frl. Tannenberg, und auch Helios.

Am 10. Dezember ging der kaum von einer Bronchitis Genesene bei furchtbarem Nordoststurm an den Hafen herunter, als echte Künstlernatur das grossartige Schauspiel des empörten Meeres zu geniessen. Zwei Tage darauf brach die Krankheit aus. So ward der arme Freund ein Märtyrer seiner Künstlernatur. Ein heftiger Darmkatarrh und wohl auch Bauchfellentzündung ging über am zweiten Tage in unstillbares Erbrechen von Galle (und Schlimmerem). Am Montag früh fing er an, bewusstlos zu werden, am Abend starb er in völliger Erschöpfung. - Ich glaube, unser Freund ward auch ein Märtyrer seiner extremen Vegetarier-Idee.

Ich werde den Verlust unseres Freundes nie verschmerzen.

Der Sohn Lucidus kam aus München; Stella mit ihren beiden ältesten Söhnen aus Positano, wo sie jetzt wohnen. Der Mann soll gegenwärtig in Oesterreich sein. -

Ich habe in der Leichenhalle auf dem protestantischen Teil des Friedhofes an der Bahre die öffentliche Ansprache gehalten, und glaube so, meinem Freunde noch ein Zeichen meiner Verehrung und Liebe gegeben zu haben. Die irdische Hülle Dfbs soll in Rom oder Mailand durch Kremation aufgelöst werden. ...

Auf meinen Rat wurde ein Bildhauer aus Neapel beordert und die Totenmaske aufgenommen. Sie ist gut gelungen, aber ach, wie scmerzvoll. Wir wollen ihn nur sehen, wie wir ihn gewohnt waren: strahlend in Kraft und Lebenslust, ein Held.                              (LZ)