Karl Wilhelm Diefenbachs

Flucht nach Ägypten - 1896-1897


Aus den Erinnerungen von Stella von Spaun-Diefenbach an ihren Vater:

Infolge der bitteren Erfahrungen [in Wien] ergriff ihn ein solcher Ekel vor der ganzen zivilisierten Menschheit, daß er ihr den Rücken kehrte und nach tieferer Einsamkeit strebte, und zwar im Süden, von dem er endlich Erholung erhoffte von all den Martern, die ihm Deutschland und Österreich an Leib und Seele auferlegten.

Alpenwanderung

So unternahm er im Frühling 1896 mit seinen Kindern, deren Lehrerin und drei Schülern eine lange Fußwanderung durch die Alpen - ein früher Vorläufer auch der Wandervogel-bewegung - , besuchte unterwegs auch sein geliebtes Dorfen noch einmal und wandte sich dann dem Süden zu. Den Spätherbst verbrachte er am Gardasee, wo er wiederum neue Gemälde schuf, mit denen er dann nach Ägypten aufbrach, wofür ihm die Großherzigkeit einer italienischen Herzogin die Mittel gab. Als seinen Dank dafür hatte er ein Christusbild für ihre Schloßkapelle gestiftet.

Ägypten

In Ägypten kam er im Februar 1896 zwar mittellos an und mußte die Gastfreundschaft einiger deutscher Hoteliers in Anspruch nehmen, die ihm auch in großzügiger und ehrender Form zuteil wurde. Er hatte jedoch das Glück, bald zwei seiner Gemälde um 10.000 Mark verkaufen zu können, womit nun alle Not fürs nächste zu Ende war. Er konnte für sich und die Seinen, die alle Not und Drangsal tapfer mit ihm ausgehalten hatten, in einem Villenvorort am Rande der Wüste - unweit von Kairo - eine Villa mieten, die ihm dann der Besitzer des größten Hotels in Kairo vollständig ausstattete.

So konnte nun endlich ein ruhiges Leben und Schaffen beginnen, die Kinder wieder den oft und lang unterbrochenen geregelten Unterricht im Hause haben. Daneben wurden sie auch zur künstlerischen Hilfe des Vaters herangezogen. Der Meister selbst aber dehnte und reckte sich körperlich wie geistig in der endlich gewonnenen Freiheit in der ägyptischen Sonne.

Und gab sich nun ganz einem zweiten Beruf hin, den er von jeher in sich trug und nie hatte betätigen können in seinem harten Lebenskampf: dem des Architekten. Aber auch diese ausgesprochene Fähigkeit stellte er, wie sein Maltalent und seine glänzende Rednergabe, in den Dienst seiner Ideen.

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Aus dem Tagebuch der Magdalene Bachmann:

Sonnabend, 18. Januar 1896. Genua.

… Als unser Gepäck im Schiff war, holten wir unsere Decken und setzten uns auf das Ende des Schiffes in die Taue. Bald wurde es sehr kalt und wir wickelten uns ein. Stella und Lucidus waren sehr müde, sie legten sich hin. Ich ging mit dem Meister auf dem Verdeck spazieren. Nach 9 Uhr verließen wir den Hafen (von Genua). Da wir sehr müde waren, aber unten in dem Gestank nicht sein wollten, legten wir uns auf dem Verdeck neben einander und schliefen ein. Der Meister und Stella mussten sich sehr bald übergeben; Lucidus und ich nicht. Anfangs schliefen wir ganz gut, dann aber fror uns an die Füße. In Zwischenräumen schliefen und wachten wir und freuten uns des herrlichen Sternenhimmels. Am Morgen kam ein Mann, der an unserem Platz arbeiten musste.

Sonntag, 19. Januar 1896. Livorno.

Wir gingen an einen Platz, an dem es herrlich warm war, auf die Gitter über dem Ofen am Schornstein. Als die Mannschaft alles gesäubert hatte, ließ der Kapitän uns eine große Waschschüssel bringen, in der wir uns alle wuschen. Ein Küchenjunge brachte uns Kaffee, den wir ablehnten. Nach dem Frühstück gingen wir in die Stadt. …

Es war uns sehr unangenehm, dass wir, da es sehr kalt war, unten schlafen sollten … Darauf legten wir uns an einem geschützten Ort nieder; wir legten uns dicht neben einander und deckten uns warm zu. Ich betrachtete mir lange die Sterne und suchte Sternbilder auf. Wir waren sehr glücklich. Ich sagte dem Meister, dass ich glücklich sei, trotzdem wir sehr arm seien, und er sprach aus, dass auch ihm nichts mangle, wenn er eine treue Seele wüsste; früher mit seiner Frau sei er unaussprechlich elend gewesen.  

Montag am 27. Jänner. Alexandrien.

Wir wurden um ½ 6 Uhr von Oreste geweckt und standen sofort auf. Wir waren noch nicht fertig mit dem Anziehen, als schon die Leute das Zelt abbrachen; wir packten schnell Alles zusammen; vieles trugen wir in dem großen Koffer; der Meister traf einen Beamten aus dem größten Hotel in Alexandrien, welcher ihn deutsch begrüßte. Er war in München und hatte beide Ausstellungen, auch die in Wien, gesehen und zeigte sich sehr verständig. Er sagte uns auch, wer die Unbekannte sei, dass wir sehr gut im Asil wohnen würden, wenn nicht, so könnte uns Herr Rudolf (der Leiter des Asils) schon ein Haus nennen. Er gab uns einen Mann mit, der uns zum Wagen begleitete, dieser Mann war auch ein Hoteldiener, welcher uns in sein Hotel führte.

Aber wir wollten nicht darin bleiben, denn das Zimmer kostete 7 L.; wir setzten uns wieder in die Droschke; unser Kutscher war ein Araber und wusste nicht, wo unser Asil lag. Darauf wurden wir von einem Polizisten angehalten, der durch die vielen Leute, die uns nachsahen, aufmerksam geworden war. Er verstand uns auch nicht, da kam ein Offizier herbei, der Meister verstand, er zeigte dem Kutscher den Weg, und wir fuhren nach dem Asil.

Es war ein schönes, neues Gebäude. Wir klingelten, ein Araber machte uns auf. Wir fragten nach dem Herrn Rudolf, der auch sogleich herbeikam, ein alter freundlicher Mann. Er wollte uns behalten, wir fuhren aber erst zum Konsul; da aber deutschen Kaisers Geburtstag war, war dieser nicht zu sprechen; wie wir später sahen, war er in die Kirche gefahren. Der dort vermittelnde Araber machte einen höchst feinen und gebildeten Eindruck.

Auf der Straße sahen wir die merkwürdigsten Leute; Araber und Schwarze, untermischt von Europäern. Sehr viele Früchte sahen wir, worüber wir uns freuten. Die Häuser sind ganz merkwürdig gebaut.

Wir kamen wieder ins Asil zurück, wo Herr Rudolf die Fahrt bezahlen ließ, doch war der Kutscher nicht zufrieden und schrie noch lange draußen herum. Wir frühstückten Sesamöl und Obst. Danach gingen wir auf das Schiff und erhielten unsere Decken und Röcke.

Darauf unterhielten wir uns wieder mit dem Herrn Rudolf, der immer mehr Interesse zeigte. Er ließ uns Kartoffeln kochen und gab uns Zwiebeln und Öl dazu. Wir möchten nicht mit den anderen Leuten essen, welche in den großen Räumen um 12 Uhr gespeist wurden mit einer Gemüse-Suppe, in welcher Fleisch schwamm, was in einem sehr großen Kessel gekocht war.

Das Mittag-Brod schmeckte uns herrlich, denn wir hatten großen Hunger.

Memnonkolosse im Sandsturm

Dienstag, den 28. Jänner

Wir aßen Apfelsinen und Brod. Um 9 h waren wir beim Konsul; da er noch nicht zu sprechen war, so gingen wir noch eine Stunde spazieren. Um 10 h war er zu sprechen. Der Meister stellte sich ihm vor, sprach von seiner Reise, seinem Buch, per aspera u.s.w. Er übergab ihm beide Bücher. Der Konsul fragte, was er von ihm wünsche. Er sagte: Das Geld gewechselt haben und einiges Geld geschenkt haben. Der Konsul versprach beides, wenn es möglich wäre. Er sagte, dass ein reicher Mann, Friedrich Heim [d. i. Herr Friedheim oder Friedmann], eine Sammlung von Gemälden besitze, und dass dieser ihn kennen lernen wolle. Alles schien ganz günstig und wir gingen fort. …

Wir gingen aufs Schiff, um zu sagen, dass unsere Sachen erst am andern Morgen um 9 h abgeholt werden würden. Darauf gingen wir nach Haus, wo wir Mittag Brod aßen; Kartoffeln und Zwiebel und Brod. Vorher war ein Mann namens Grün da, den der Meister in Höllriegelsgereuthe kennen gelernt hatte. Der Mann hatte arbeiten helfen; er gab uns Schrotbrod zum Kosten. …

Als wir wieder kamen, war der Meister oben beim Herrn Rudolf und bei ihm mehrere Herren und Damen, der Fotograph Reiser, ein Deutscher. Der Meister fand mehr oder weniger Verständnis, darauf führte uns ein Herr zu Herrn Friedmann, der uns erwartete. Dieser wohnte in einem vornehmen Hause im 3. Stock. Wir sahen seine Gemälde an, er hatte eine große Auswahl in mehreren, großen Zimmern, während der Meister mit ihm sprach. Manche Gemälde waren sehr schön. Er bot uns Bananen an und wir aßen zum erstenmal in unserem Leben, sie schmeckten uns köstlich. Als wir gingen, glaubten wir, Herr Friedmann würde ein Bild kaufen. Am andern Tag sollten die kleinen Bilder auf das Konsulat gebracht werden. Der Jude zeigte mehr Verständnis, als ich erwartet hatte. Er wollte auch dem Gelehrten Schweinfurt in Cairo schreiben, dass dieser ihm helfe, eine Wohnung zu suchen. Wir gingen wieder nach Haus. …

Am Tage hatten wir viel davon gesprochen, dass wir alle weiße Kleider bekommen würden und weiße Schleier um den Kopf, worauf wir uns sehr freuen. Wir sind jetzt sehr glücklich. Der Meister lebt von neuem auf. Es wird ihm viel Hochachtung entgegengebracht und Liebe, das thut seinem weichen, süßen Herzen wohl.

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Memnonsäule

 Mittwoch, 29. 1. 96

Lucidus zog den weißen Kittel an und wir fuhren zum Consul; er war nicht da. Deshalb gaben wir nur die Kisten ab. Im Haus aßen wir auf der Herrenveranda, das Meer vor uns, Bananen und Brod. Dabei stand Herr Grün, der uns Schrotbrod gegeben hatte. Herr Rudolf sagte, dass er selbst sehr in den Meister verliebt sei, dass er ihn hier nicht mehr fortlassen wolle. …

Der Meister war während der Zeit oben, sprach mit dem belgischen Consul und einem jungen griechischen Maler [Konstantin Parthenis, ein künftiger Schüler], dessen Bruder einen sehr guten französischen Artikel in die arabische Zeitung gebracht hatte. Mit diesem jungen Mann ging ich mit Stella zum Consul …

Alle Leute waren äußerst freundlich mit uns. Einer der Beamten sagte, er habe einen arabischen Artikel in einer Zeitung in Kairo geschrieben. Er konnte französisch sprechen. Die Beamten ließen den Wagen vorfahren und luden unsere kleinen Kisten auf und fuhren ab. Alle Araber in der Zollstation hatten sich um uns gedrängt  und wollten Bilder haben. Der Meister vertheilte viele, auch unser Kutscher bekam eines. Auch als wir Herrn Scheps sahen und wir auf das große österreichische Schiff ‚Habsburg’ gingen und wir mit dem Capitän und vielen Beamten sprachen, musste der Meister viele Bilder vertheilen. Er ließ sich Visitenkarten von ihnen geben.

Während ich den Meister suchte, um ihm alles zu erzählen, kam ich in das Zimmer Herrn Rudolfs, welcher zwei Damen zu Besuch hatte. Herr Rudolf nöthigte mich dazubleiben und ging hinaus. Sie fingen sofort an, vom Teufel zu sprechen, von Sünde und Verderbnis und Erlösung u.s.w. und ihre Begleiterin deklamierte dabei ein Kirchenlied. Glücklicherweise kam der Meister und ich entfernte mich bald, um weiter zu schreiben. Der Meister hat ihr seine Ansichten über den Teufel klar gelegt, worüber sie ganz entsetzt war.

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Sphinxe im Wüstensturm

 Sonnabend, 1. Februar

Wir kauften etwas ein, für die arme Italienerein ein Nähzeug, und gingen nach Haus. Auf dem Wege trafen wir Herrn Friedheim, welcher mit mir sprechen wollte.

Er fragte nach dem Preise und ich sagte 500 Frs; er sagte mir, dass er es an einen Herrn für 20 Pfund verkauft habe, das sind über 500 Frs; während wir die in der Stadt, welche größer war, nur für 350 L. verkauft hatten. Wir freuten uns sehr und aßen Mittagbrod. …

Der Meister war immer oben, weil viel Besuch kam, namentlich Journalisten. Er sagte abends, dass die beiden griechischen Brüder sehr begeistert seien. Auch die Lehrerin war wieder da gewesen … Sie sagte, dass der Konsul wünsche, dass der Meister zu ihm hinkomme und auch ein paar per aspera hinbringe. Nach dem Abendbrod gingen wir hinauf zum Herrn Rudolf, bei welchem besprochen wurde, dass der Meister die Bilder erst für den Oktober malen solle, was er ganz gemächlich thun konnte; das Geld zum Leben würden die Deutschen aufbringen durch Schreiben des Herrn Rudolf an den Consul und an den General-Konsul in Cairo. Der Meister war sehr froh, dass er sich nun nicht wieder abhetzen musste. Der junge Mann [Konstantin Parthenis] geht doch wahrscheinlich mit, und sein Bruder, ein Journalist, wird wahrscheinlich dann in einiger Zeit kommen und alle Correspondenzen führen.

2. II. 1896

Den ganzen Nachmittag lernte ich italienisch und arabisch und strickte dabei. Unterbrochen wurde dies durch viel Besuch; ein Herr brachte Birnen, über welche wir uns sehr freuten. Dieser Herr schlug vor, er wolle uns jeden Tag früh von ½ 7 – ½ 8 h arabische Stunden ertheilen, worauf wir uns sehr freuten. Abends waren wir eingeladen; Herr Rudolf hatte uns Linsen mit Reis kochen lassen; das aßen wir erst, dann gingen wir. Wir wurden abgeholt. Wir wurden in einen von rotem Licht erhellten Salon geführt, in welchem der Herr, die Frau, der Sohn und dessen Großmutter sich vorstellten. Der Meister sprach sehr viel italienisch und französisch über seine Lebensgewohnheiten. Sie waren sehr in Verlegenheit wegen des Essens, sie hatten schon aufgedeckt für uns.

Ende der Aufzeichnungen von Magdalene Bachmann

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