Georg Lührig (1868 - 1957)



Professor, geboren am 26. 1. 1868 in Göttingen, Maler und Lithograph. Gestorben in Lichtenstein/Erzgebirge. Lithographielehre. 1885 - 90 Studium an der Münchener Kunstakademie. Bis 1898 Aufenthalt in Dresden, danach zwei Jahre in Rumänien. 1916 Berufung an die Dresdner Kunstakademie als Professor für Malerei, Zeichnung, Grafik und Naturstudium. 1932/33 Rektor der Akademie. 1934 Ausscheiden aus dem Akademiebetrieb.
 
Gemeinschaftsklasse mit Otto Dix, Privatschülerin und Modell die Malerin Dora Herzheimer, Jüdin.
Werke: Rübezahl-Fresko an der Außenwand des Gymnasiums in Cotta 1909/10.
„Alter und Jugend“ nach Modell Herzheimer; Lithografien: Die Jahreszeiten.
  
„1925 wurde in Mannheim der Begriff Neue Sachlichkeit bei einer Ausstellung proklamiert. Zeitgleich bildete sich in Dresden die 'Neue Gruppe von 1925', dazu gehörten Maler wie Guhr und Lührig. Otto Dix hat im Laufe der Zeit Vorbildcharakter angenommen.“ (Volker Stelzmann).


 
Georg Lührig         Foto von Hugo Erfurth      


  Georg Lührig                                                                                                                                                                         Akte im Freien
        
                     
Georg Lührig   Alter und Jugend (Staatl. Kunstsammlung Dresden)                                  Lührigs Modell                 

Dora Herxheimer

* 4. August 1884, London,  1963 New York) , verh. Heidrich,
war bildende Künstlerin. 1901 wurde sie in Dresden Privatschülerin bei Georg Lührig und stand vermutlich Modell für dessen Bild „Alter und Jugend“. In Paris folgte das Studium bei Rodin, die Freundschaft mit Rainer Maria Rilke (Briefwechsel im Rilke-Archiv). 1911 heiratete sie den österreichischen Offizier Rudolf Heidrich, 1919 wurde ihre Tochter Dorothea in Freudenstadt/Schwarzwald geboren. Sie lebte während der Nazizeit im damaligen Sudetengau, mußte den Judenstern tragen und durfte ihren Beruf als Englischlehrerin nicht mehr ausüben. Unter diesen Drangsalen starb ihr nichtjüdischer Mann 1941. Für November 1945 stand sie auf der Transportliste ins Konzentrationslager. Frühjahr 1948 konnte sie mit ihrer Tochter nach England ausreisen, 1954 in die USA.

(Aus Stadtwiki Dresden)


In Gräsers Dresdener Zeit (1924/25) ist ihm Georg Lührig ein guter Freund und Helfer. Er ermöglicht ihm den Druck seines farblithographischen Mappenwerks ‚Dem Volke stillgewaltig’, schreibt Empfehlungsbriefe für ihn und unterstützt ihn auch später finanziell.

     


Briefwechsel zwischen Georg Lührig und dem Kunsthistoriker Kuno von Hardenberg über Gusto Gräser

Professor Georg Lührig aus Dresden an Graf Kuno von Hardenberg in Darmstadt

Dresden, 13. 11. 30

Lieber Herr Graf!

Die beiliegenden Schriften sind Proben aus dem Werke eines merkwürdigen Mannes, der mir unlängst begegnete und den ich im geistigen Austausch hochschätzen lernte. Er ist Deutscher aus Siebenbürgen, 50 Jahre alt, zwar ohne akademische aber von reich entfalteter seelischer Bildung und von unge-wöhnlicher sprachkünstlerischer Gestaltungskraft. Ein Volksmann urtümlicher Art, in dessen Gebahren ein ausdrucksvolles Bild aus altdeutschen glaubens-starken Tagen wieder ersteht.

Er möchte wirken und etwas herausbringen, hat aber als ein Kämpfer gegen unsere zeitgenössische Kultur“ (Eile, Maschine, Schema, Norm, Gebrauchs-deutsch) vor jeder billigen und kitschigen Aufmachung berechtigten Widerwillen. Ist blutarm. Von Seinesgleichen, den ethisch-pädagogischen Pfadsuchern in Deutschland, wohl gekannt, doch so aufgenommen, wie’s nun einmal unter „Kollegen“ schicksalhaft üblich. Wer mag ihm helfen?

Ratend, vermittelnd zunächst! Ich denke an Sie, lieber Graf, da doch Ihre Persönlichkeit Schnittpunkt so vieler Linien ist. – Welcher Verleger von Weitblick und höherem Pflichtbewußtsein würde sich dieses Menschen annehmen und Einiges aus seinem (schon umfangreichen, weil nie veröffentlichten!) Werk drucken? Würden Sie nach Kenntnisnahme des Inhalts der Schriften, die allerdings in der zufälligen und knappen Auswahl entfernt kein rundes Bild ihres Urhebers zu formen vermögen, würden Sie Ihre Beziehungen und Ihr Gutachten einem Verleger gegenüber helfend zur Verfügung stellen? Ich bitte Sie zunächst nur um Ihre Rückäußerung. Wollen Sie erst mehr lesen oder den Mann persönlich hören? Das ließe sich machen. Denn eine Kritik, die sich unschwer an Einzelheiten bewähren könnte (ich bin mir dessen gerade hier sehr bewußt!) wird doch vor der Ganzheit dieser Persönlichkeit bald recht kleinlaut, wie wir es mehrfach erlebten. Unter allen Umständen hält sich der Kern seiner inneren Welt: Treue dem Gesetze des Keimens und Wachsens auch … [Fortsetzung fehlt!]


Antwort von Hardenberg

Graf Kuno von Hardenberg

Darmstadt-Schloß, Fernruf: Privat 379, Dienstlich: 102, 18. 11. 30

Mein lieber Herr Lührig!

Das ist ein wahrhaftiger cherubinischer Wandersmann, ein Abraham a Santa Clara redivivus, den Sie da entdeckt haben in dem Herrn Arthur Siebenbürger. Ich habe bei einer so gewichtigen Empfehlung, wie die Ihrige, natürlich keine Minute angestanden, die mir gesandten Proben durchzulesen, u. ich muß Ihnen auch gleich sagen, daß Alles das, was Sie über Ihren Schützling aussprachen, stimmt. Er ist ein eigenartiger Geist mit ungewöhnlich starker sprach-bildnerischer Begabung u. einer höchst eigenständigen Einstellung, der für jeden Kenner von Literatur u. Dichtung interessant sein wird, nur nicht für ein großes Publikum u. infolge dessen auch nicht für einen Verleger. Den Verlegern geht es heutzutage schlecht, denn es schreit der liebe Mob nach schlechten u. billigen Sachen, u. daran ist meist nicht viel zu verdienen, höchstens Anrüchigkeiten. Um ein Dichter wie Artur Siebenbürger zu sein, muß man reich sein, muß man Geschmack haben, um alle diese krausen Gedanken in einer möglichst krausen u. künstlerischen Weise drucken lassen zu können. Man muß endlich ein suggestiver Schalk sein, der die Menschen durch seine Persönlichkeit dazu zwingt, seine Werke mit in Kauf zu nehmen. Wo dies nicht zusammentrifft, da wird sich schwer ein Mann wie Herr Siebenburger durchsetzen, zumal in heutiger Zeit. Einen edlen Verleger, wie Sie ihn sich für ihn erträumen, gibt es auf dieser Erde nicht, u. wenn es ihn früher mal gegeben haben sollte, was ich stark bezweifle, dann ist er sicher ausgestorben. Heutzutage ist Verlegen mehr denn je Geschäft u. zwar ein grausames, bei dem es meist ohne schwere Kämpfe nicht abgeht. Soll ich zusammenfassen, was ich hier etwas wirr geäussert habe, so muß ich Ihnen mitteilen, daß ich vorläufig keinerlei Möglichkeit sehe, Herrn Siebenbürger hilfreiche Hand zu leihen. Einmal sind meine vorrätigen Hände, es mögen wohl an die 50 – 60 sein, schon vollauf beschäftigt, sodann aber auch sehe ich keinerlei Möglichkeit für ein solch sprachliches u. denkerisches Original einzutreten. Mir fehlt das Podium dazu, mir fehlen aber auch sonst die Mittel. Immerhin will ich Ihnen versprechen, daß ich mir den Mann merken will, u. daß ich in späterer Zeit einmal Sie bitten werde, mich mit ihm bekannt zu machen. Vielleicht ergibt sich dann irgendeine praktische Möglichkeit, ihm förderlich zu sein. Augenblicklich kann ich ihn nicht empfangen, da wir hier bis über beide Ohren in Veranstaltungen u. Arbeiten sitzen, die mich bis Ende Februar vollauf in Anspruch nehmen werden.

Wenn ich von den mir geschickten Proben eine oder die andere gelegentlich zum Ganzbehalten wieder bekommen könnte, würde ich Ihnen sehr dankbar sein. Im übrigen hoffe ich, daß es Ihnen u. den Ihrigen gut geht u. daß Sie in Ihrer Lehrtätigkeit, trotz aller schlechten Eigenschaften junger Kunst-akademiker, Befriedigung in Ihrem Berufe finden.

Herzlichst stets Ihr Hardenberg.

CvHardenberg


Ein Brief nach Dresden

Kurz vor Weihnachten 1931 schreibt Gräser an seinen Dresdener Freund und Gönner, den Kunstmaler und Akademieprofessor Georg Lührig (1868-1957) und dessen Familie. Er hat in Stuttgart, nach halbjährigem Umherirren von einem kurzfristigen Nachtquartier zum andern, endlich in den Himmel gefunden. „Im Himmel 36“, so lautet nämlich seine amtliche Adresse im Stuttgarter Vorort Vaihingen. Jetzt erst, nachdem er sich seine Behausung – vermutlich ein Gartenhäuschen - einigermaßen eingerichtet hat, mit selbstgebasteltem Mobiliar, findet er die Muße, an die Freunde in Dresden zu schreiben.

Er spricht von seinen „unausgebrüteten Eiern“ und meint damit sein Spruchbuch ‚Wortfeuerzeug’ und die Druckschrift ‚Bucheckern’, zwei wirklich dicke Eier, die er im Vorjahr „gelegt“ hat, die fertig geworden sind. Gelegt ja, aber nicht verlegt, nicht gedruckt, und insofern unausgebrütet. Sie zum Druck zu bringen, war er mehr als ein Jahr lang unterwegs gewesen, von Verlag zu Verlag, von Druckerei zu Druckerei. In Hamburg, Dresden, Leipzig, in Heidelberg, Basel und Zürich hatte er vorgesprochen – alles umsonst. Aus der Schweiz war er wieder einmal ausgewiesen und abgeschoben worden. Von alledem, und dass er auch in Stuttgart noch nicht zu Potte gekommen ist, sagt er kein Wort. Er ist froh und erleichtert, dass er wenigstens ein Dach über dem Kopf hat.

Von Anfang 1925 bis Mitte 1926 hatte er sich in Dresden aufgehalten, in engem Kontakt mit Georg Lührig, der ihm den Druck (farbigen Steindruck) von Gedichten und Zeichnungen ermöglichte. Er scheint Jahre später wieder einen Besuch bei den Lührigs gemacht zu haben, darauf spielt er in seinem Schreiben an. Vater Lührig habe damals nicht viel Zeit für ihn gehabt, weil er mit einem großen Auftrag beschäftigt war. Das muss im Herbst 1930 gewesen sein, denn aus anderen Quellen wissen wir, dass Gräser gegen Ende Oktober dieses Jahres durch Dresden gekommen ist. Sicher wird er auch Lührig besucht haben. Die familiären Anspielungen, die er im Briefe macht, sprechen sogar dafür, dass er längere Zeit dessen Gast war. Dafür spricht auch, dass Lührig zwei Wochen nach seiner Abreise, am 30. November 1930, einen längeren Brief aufsetzt, in dem er bei dem einflussreichen Kunsthistoriker Graf Kuno von Hardenberg sich für Gräser einsetzt.

Es hatte damals wohl Verstimmungen gegeben. Nun will er die Verbindung mit der Familie wieder aufnehmen. Ganz ohne praktischen Zweck ist sein Schreiben freilich nicht. Er wünscht sich einige Bilder von Lührigs Gemälden, will Fotoaufnahmen von ihnen machen. Offenbar denkt er daran, bei seinen Vorträgen diese Bilder zusammen mit seinen eigenen zu projizieren und dadurch sein Angebot zu bereichern. Auch an einem künstlerischen Wettbewerb würde er gerne teilnehmen – und macht sich wohl uneinlösbare Hoffnungen. Zuletzt erwähnt er noch die Frau des Hauses, mit der es Ärger gegeben zu haben scheint. Mag sein, dass sie ihn loswerden wollte; es sieht ganz danach aus. Er nimmt’s nicht weiter tragisch, hält aber mit dem Unerfreulichen auch nicht hinterm Berg.

Mit dem Bild vom Vogelmütterchen spielt er auf eine Zeichnung an, die er 1915 in Dresden mit anderen hat drucken lassen oder selbst gedruckt hat: Eine mitfühlende Frau (sie trägt die Züge seiner Lebensgefährtin Elisabeth Streng) hält schützend ihre Hand über ein verängstigtes, aus dem Nest gefallenes Vögelchen. Dem Bild – Teil der Mappe ‚Notwendwerk‘ – gibt er auf einem Beiblatt den Titel “Mütterlichkeit“. Er selbst sieht sich als ein solches „Vogelmütterchen“. Und zugleich als das Vögelchen in der Hand der „Großen Mutter“.

Hier sein Schreiben (die Rechtschreibung ist der heute üblichen angeglichen):

Himmel – Sonntag vor Weihnacht 31
Ihr herzlich wackern Lühriger.

Nun, nachdem ich hier, wie’s scheint, ein wenig Aufenthalt gefunden, eine leere Stube, die ich mir so schlecht und recht eben eingerichtet hab (vorgestern macht‘ ich das letzte Gestühl), nun muss ich mit Diesem schleunigst zu Euch flattern, Euch zu vermelden, dass ich nun Verlangen hab, wieder etwas Fühlung mit Euch zu finden. Bei meiner letzten Dresden-Zeit war Vater Lührig ja so sehr in Anspruch genommen. Nun ist’s wohl auch damit herum, und das Riesenbild an seiner Stelle angelangt. Dass es treu, also sinnig und schön gebildet ist, weiss ich ja. Wie wurd es aufgenommen? Habt Ihr nun auch eine ländliche Erholung genossen?
Schreibt, schreibt, und lasst mich wieder ein wenig Einblick in Euer Leben finden.

Ich darf nun noch nicht zuviel Wesens von meinen unausgebrüteten Eiern machen. Dass sie aber bald piepen und selber krähn, das will ich nun besorgen.
Ja, ja, wir kommen aufs rechte Bild: Wie ein Vogelmütterchen bin ich bereit, all mein Warm vergessend hinzugeben, dass werde, wachse, was Uns allen Not: Urheimatglut. „Ich“ bin es nicht – lasst Uns Es nicht vergessen, das „Mütterchen“. Wir sind nur mit „Ihm“ gut.

Und Sylvia? Die jungen Paare? Hat Ferdinand nun tragende Tätigkeit? - Wir kommen nur schlagend recht zuweg, aus Urschlag, Heimschlag, Herzschlag zum Grund, und schleichend müssen Wir kümmern. – Was habt Ihr an Menschen und ihren Werken wahrgenommen, das mich angehn könnt? Richtig – könnt Vater Lührig mir einige seiner Bilder, die als Druck u. Foto da sind, zu Lichtbildaufnahmen überlassen? – Denk hauptsächlich an die kernig gestalteten Häupter, die er hat. Freilich mit Rücksendung meinerseits. –

Muss Euch aber doch verraten, dass Ihr nit zu sehr brummt, wenn Ihr in diesem Brief vielleicht zu Dumpes findet: Schlafe und esse schon über 2 Wochen ganz kümmerlich, wegen meinem alljährlichen, diesmal aber arg heftigen Reinigungsauswurf (Katharr).
Richtig – nochmal (da habt Ihr den Verschnuppten): Wenn Ihr einen Wettbewerb um bildnerisch, dichterisch, geistig edle Dinge bemerkt, teilt mirs bitte mit, willmuss da irgendwo rein.

Nun lebt wohl und freut Euch des dennoch Erfreulichen.
Arthur Gräser
*
Ha ha – nach Erfreulich ist Punkt.

Warum hab ich wohl Mutter Lührig nicht erwähnt?

Abs. A. Gräser
Vaihingen Fild.
Himmel 36
*