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Vom Volksfeind und Freund
Nach einer Rede von Gusto Gräser
[Freiburg, 27. Januar 1920]
 
Willkommen!
Ich muß, ich will meinen Teil dazu beitragen, dass uns ein menschenwürdig Leben werde.
Heute müssen wir die Frage lichten ‚Wer ist Volksfeind und wer sein Freund?’ Die Trübheit, die darüber herrscht, ist arg. –

Dem Feindlichen wird vielfach Tür und Tor geöffnet, es wird bekomplimentiert und herangezogen, dem Freundlichen aber wird die Tür gewiesen, ja ausgestoßen wird es vielfach, vielfach. Tut man das etwa aus Christlichkeit? Heißt es doch: ‚Du sollst deine Feinde lieben.’ Ja, ja, wo geht’s der Lüge besser, der Feigheit und der Eitelkeit, diesen drei feinsten Feinden, als in dem Lager dieser Christen? Jüngst frug ich einen Pfarrer, den ich beim Bierglas traf, ob er denn nicht genug hätte von dem Elend, das an diesen Dingen hängt. –
Er sagte darauf: ‚In diesem Raum trinken doch die Meisten und man muß doch schon aus Altruismus’ - - - Da unterbrach ich ihn, denn er sprach im Ernst, der „Christliche“ der.

O ihr Tugenddiebe, ihr liebheuchelnden, euch lieben?

Euch hassen? Nein, euch verlassen!
 
Den rechtschaffenen Widersacher, den ja, den kann ich lieben, aber den Freundlichkeit heuchelnden, den Knechtschaffenen, den kann ich nicht, den kann niemand lieben, niemand, der ihn erkennt. Ihn erkennen, den Giftmischer, den Lügner, der unser aller Leben verhetzt und zersetzt, heißt schon ihn überwinden.
Darum ist nichts so brennend nötig, als den Feigling, diesen eigentlichen Feind unseres Lebens, gegen den jeder andere nur Scheinfeind ist, in jeder Gestalt zu erkennen und damit zu verbrennen.
 
So lasst uns Herzmut, Herzglut schüren,
heißheitrer Geist wird wohl uns führen.
 
Leben ist immer ein Werden, was wird allein ist wahr. Starrheit, Verstockung ist Krankheit, Tod und Verderben. Wir aber sind angstverstockt bis ins Mark. So müssen wir den Stock in uns, den eingeprügelten, verbrennen – verbrennen den toten Span im Fleisch. Wenn dann das fleißig reine Blut mutfröhlich unsern Leib durchwallt, gedeiht auch die Gestalt uns fest und fester. – Jawohl, nicht nur das weiche Fleisch, auch harte Knochen werden von dem Blut erbaut, dem flüssig fleißgen Blut.

Wie ist’s mit unsrem Volksleib nun? An allen Enden stockt’s. – Warum? Weil in den Hirnkasten oben der Herr Verstand uns lauter Angstgift fabriziert. Da werden peinlich enge Moden und Methoden ausgeklügelt, pedantisch zimperliche Satzungen und Systeme konstruiert, auf die unser Leben in Flaschen gezogen, in Töpfe gesetzt wird, so dass es in all der Enge der toten Gegenständlichkeit verdorren muss.
Ja er! Der selbstherrliche, knechtselige Verstand, der gar geschäftige Vorsatz- und Grundsatzfabrikant, er ist der Feind der Feinde, er und die Feigheit, ein untrennlich Paar. - - - Wir sind tief in Verstand verfroren, Herzgeist nur kann uns helfen.

Ja aber:
‚Ein ordentlicher Mensch muss doch Grundsätze haben, nach denen er sein Leben ordnet.’
Seht sie doch an, die grundsätzlich Gesetzten, bleich und geizig auf ihren Sätzen hocken sie, wenn lockend das herzwarm rotwangige Leben sie grüßt. – ‚Der Weg zur Hölle ist mit guten Vorsätzen gepflastert’ heißt der treffliche Spruch, den wir besser beherzigen dürften. Nein, nicht aus toten Grundsätzen, aus lebendigen Beweggründen blüht uns ein freundliches Leben. Beweggrund ist ein Wort, das trefflich andeutet, was uns statt Grundsätzen frommt. Grundsätze sind als wie Steine im Grund. - - - Von solcher Erkenntnis geleitet, merken wir bald, wie unsere sogenannte Zivilisation auf steinigen Grund geriet, wie, vom Verstand verführt, alle Lebensgeister versteinert, verwüstet wurden.

Von drei Lagern der Zivilisatoren geht diese Verstandes- und Feigheitszucht vor allem aus.
Zunächst von denen, die das Wesen mit Wissen spalten, vom Lager der Kathedergeister. Ja, ja, die Schriftgelehrten sind es heut wie ehedem. – Angst heuchelt von ihren Worten aus. Über Büchern hockend wird kein Freund, höchstens ein verstockter Dokter gemacht. Freund kann nur ein Wagender sein, ein inbrünstiger Erkenner. – Erkennen - in die Heimlichkeit des Lebendigen tauchen und in Wonneschauern seine köstliche Weisheit erleben, das heißt erkennen. Unlehrbar ist das Leben, sein Licht kann nur der Begeisterte und niemals der Klügling entflammen.

Und auch ich und mein Wort hier wird nur insoweit taugen, soweit es vom Geiste stammt, brünstig vom Herzen flammt. Ja, nur soviel ich hier und jetzt aus Geist, aus Gemeinschaft spreche, den Ton und Takt des volkwilligen Freundes anschlage, haben meine Worte Wert zu unserem Gedeihn. Wert- und sinnlos aber sind sie, wenn sie aus Wissenseitelkeit und Lehrsucht stammen. Ja, nur aus Warmheit leuchtet die Wahrheit auf, nur das uns aufgeht das Licht, führt und verführet uns nicht. Uns hat das aufgesteckte, das Laternlicht der Wissenschaft arg in die Irre geleitet. Kommt in das Sonnlicht der Weisheit, da blüht uns wirkliches Wohl.
 
Licht, Licht, mehr Licht, so schreibt und schreit
das Volk der Denk und Dichter.
Und richtig, lichter wird die Zeit,
es wimmelt von Gelichter.
Das flunkerflackert, glost und gleißt –
freut euch, ihr Luxusfexe! –
Das sprüht Elektrogasogeist – Triumpf –
die Herzensglut vereist.
Es flackern die Reflexe.
 
Das kommt heraus bei all der Wissensgier. - - - Vieles vergessen, um freier denken zu können, das wäre tauglicher zu unserem Gedeihen. O dass ein frischer Wind der Begeistrung erstehe, all die lastenden Nebel der Bedenklichkeit aus unsrem Leben zu saugen. Dann geht die Sonne der Heiterkeit auf und ein Frühling der Menschwerdung kommt.

Den brauchen wir doch, wohlauf denn zum Herzgeist, zum Freunde!
Ich geh. – Den Hirnkastengeist, den Mörder, bin ich satt! Wer ist’s mit mir?
Ach die herzliche Torheit der Albernen ist frische Luft, aber die herzlose Dummheit der elend Gescheiten ist zehrendes Gift unserem Leben. –

* * * *
Nun zu den andern Bangemachern, die uns die gottvolle Welt in Diesseits und Jenseits entzweien, zum Lager der Bibelchristen. Ehr allen ehrlich Suchenden, allen hungrigen Geistern – aber die satt sind und meinen, sie hätten, die nicht immer nach treu und treuerem Leben trachten, kann Geist nicht achten.
Pharisäer sind es heut wie ehedem, die meinen, die einzig seligmachende Wahrheit zu haben, fromm sind sie nimmer. – Ja, nirgends steht, auch im Buch der Bücher steht nicht steif und festgestellt das Fromme, das Wahre, denn über Buchstab und Buchstaub wandelt’s im ewigen Tag.

Nimmer zu wissen, zu sehen, aber zu glauben, aber zu üben im kindhaft urfrommen Geist. Ja, den bescheiden Heimkehrenden, den Wiederkindern und nicht verstudierten, ver-theo-lognen Gelehrten naht Geist. Die, die da reinen Herzens, nicht die gescheiten Kopfes, sie finden Kraft es zu schauen und uns mit gottvollem Leben zu weihn. – Sie, ja, werden das Ewge ahnend erkennen und ihr Erkennen, ja, das wird uns befrein.
Aber die Andern, die es begreifen wollen, Heilswahrheit greifen sie nimmer – und ein vergiftendes Heucheln schleichet aus ihrem Getrieb. Denn wer sie haben will, muss sie verlieren.

Die Wahrheit fließt, du kannst sie nicht erfassen,
nicht frech begreifen und nicht stolz verstehn. –
Drum über fleißig du das große Lassen. –
Fließ mit, fließ mit, so wird’s dir wohl ergehn.
So wirst du froh, in alle den Gefahren,
die dich bewahrt, die Ewge, auch gewahren.
 
Ja, nirgends, auch bei mir nicht, steht das Heil, am wenigsten steht’s schwarz gedruckt und geschrieben da. – Erst wenn Begeisterung wehet und webt, erst wenn es nimmer steht, dann erst kann’s Heil und kann’s Wahrheit sein.

Und Seligkeit ist da, wo Seele ist, kein Lohnspekulant, kein Jenseitssüchtling, Daseinsflüchtling kann sie gewinnen. Der aber hinter Hohn und Neid tief da in Bescheidenheit lebt, der treulich seinen Tagkreis erfüllt, den drücket kein Raum, den drückt keine Zeit, der wieget in sonniger Ewigkeit.
Ja er, der Fromme, der Tüchtige kann seinem Tag nicht hässlich enteilen, mit seinen Leiden und Freuden muss er wallen und weilen, denn er hat Lieb im Leib.

Ihr predigt Liebe und ihr weist nach Drüben,
mit Furcht und Hoffen unsern Blick zu trüben,
dass er das Glück nicht sieht, das rundum blüht.
Das wäre Liebe, sich zum Himmel wenden,
wenn hier im Erdentale allerenden
die Mitwelt durstig nach dem Freunde glüht?

Geht, geht, ihr Hinterweltler, an euren Jenseitsgedanken muss Seele und Seligkeit elend verkümmern und gottlos lieblose Feigheit muss unsre Tage vergiften. – Da hilft auch nicht euer eindringlichstes ‚Du sollst lieben’.
Mit Liebegebot schlagt ihr die kranke Seele noch tot.
 
Weil ich soll und weil du sollst,
stirbt die frohe Güte, und des Lebens Blüte
dorret und verholzt. –
Ach, dies Leben blüht nicht groß,
eh wir uns erheben,
eh wir zwang- und zweifellos
liebfreimütig leben.

* * * *
Nun einige Schlaglichter auf die dritten Angstmeier und Angstmacher, die uns mit „Recht“ die frohe Güte verbrechen, zum Lager der Paragraphenritter. Pochen auch auf Buchstab und Buch, wollen auch haben, die Rechthaber, so züchten sie Rache. – Nein, so können die Freunde des Volkes nicht sein. Auf Grund von Satzung und Gesetz wird mehr Recht verbrochen als gesprochen.

Fühlend prüfen, aus fühlendem Denken entscheiden, das heißt urteilen – doch nach starren Statuten richten, ob für oder wider den zu Richtenden, heißt verurteilen, zur Rute oder zu Honig.

Richter des Volkes müssen doch Aufrichter sein, die Gefallenen hebend und so aufhebend Unrecht und Schuld.
Aber Zugrunderichter wird, wer nach Sätzen Leben richten will. Ja, uns führt nur der freie, der von Satzangst befreite Mann.

Er ja, der Echtrechte, er verführet uns nimmer, mit warm beherztem Haupt bei jedem Werke schafft er uns Reinigung und damit Eintracht, schafft Volk. Doch wo Verordnungen wuchern, da muss Volkheit und Reinheit, muss Ordnung verderben, denn im Schatten des Zwangs erfriert der ordnende Geist. Heilige Ordnungslust webt in jedem lebenden Wesen. – Schaut die Natur, wie ordnungsreich waltet ihr inniger Geist – Zahrteste Ordnungen strahlen und blühn im Reich der Pflanzen und Tiere. – Und wir? Sind denn wir Menschen allein so gottverlassen, verloren? O wenn wir ihn, den unverwusst ordnenden Geist da drin nur gewähren lassen, wird unser Leben bald in Eintracht und Schönheit blühn.

Also die Ordnung zerfällt, wo wir sie feststellen wollen. Wachsend und wechselnd ist des Lebens trauliche Ordnung, wo sie erstarrt, da wird ihr Gefüge zerstört. – O, viel zu stolz versteifen wir alle uns auf das „Rechte“. Herzhaft echtrecht gewandelt, das führt uns alle zum Wohl. Fühlende Führung, die bringt uns zu trauter Gemeinschaft, doch die entsetzlich gesetzliche treibt uns in Wirrwarr hinein. Und statt dass Gemeinschaft erwachse, wuchert uns Gemeinheit und besitzender und nichtbesitzender Pöbel verwühlt unser Volk.
Mannheit, komm rette!

Mit Statuten und Gesetzen helft ihr nur dem Wurm zu Recht. –
Doch den Mensch tut ihr verhetzen – ihn, den Treun,
ihr macht ihn schlecht. –
Mannheit nur kann uns erlösen – von der Schlappheit als dem Bösen,
du verprügeltes Geschlecht.
 
Also lasst uns gemeinsam den volk- und völkerverhetzenden Feind in uns erkennen und im Feuer der Begeisterung den feigen Rechthaber, Sittenrichter und Besser-wisser herzhaft entbrennen, so wird uns mehr der Freund – überall. Auch in den genannten Lagern noch.

Umzubringen, das höret deutlich, ist also nichts. Der Feind unseres Lebens ist eben das umgebrachte, das schlaff und falsch am Boden krauchende, wurmhaft bängliche Wesen. Aufgebracht muss es uns werden zu fröhlichem Streit. Dann, wenn in aufrechtem Wandel es schreitet und streitet, dann ist es nimmer Feind, dann ist es Freund.

Also nicht tot, lebendig schlagen lasst uns den Feigling.
 
Kennst du den Freund? - Du selber bist er.
Kennst du den Feind? – Er heißt Philister.
Pass auf, wo du dich duckst – dort ist er.
*        *       *

 
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