Die Wurzeln von DADA

Was sind die Wurzeln von DADA? Hauptstränge führen auf den Monte Verita von Ascona.

1.    Der Untergrundschriftsteller Emil Szittya kommt mit seinem Freund Hugo Kersten 1915 direkt vom Monte Verita nach Zürich, gründet dort die Prä-Dada-Zeitschrift
‘Mistral’ und lädt Hugo Ball nach Zürich ein. Er hatte lange mit Hans Richter zusammen in Paris gelebt, dort eine eigene Zeitschrift - ‘Les Hommes nouveaux - herausgegeben, mit Blaise Cendrars als Mitarbeiter, und konnte deshalb die Verbindung mit den französischen Künstlern und Dichtern herstellen. Als Vagabund und individualistischer Anarchist, der eine Kolonie in der Art des Monte Verita hatte gründen wollen, brachte er den Geist des Umsturzes von Ascona nach Zürich.

2.    Hugo Ball hatte seine geistige Prägung im Milieu der Schwabinger Boheme erfahren, die ihrerseits mit dem Monte Verita in enger Verbindung stand. Gemeinsamn mit Erich Mühsam, Richard Seewald, Johannes R. Becher und Leonhard Frank, die zum Umfeld des Asconeser Sexualrevolutionärs Otto Gross gehörten, beteiligte er sich an der Zeitschrift ‘Revolution’ von 1913.

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3.    Anlaufstation und Stützpunkt wurde für Ball in Zürich der Armenarzt und linke Sozialdemokrat Fritz Brupbacher. Brupbacher sympathisierte mit den Siedlern vom Monte Verita, hatte sich 1907 dort aufgehalten. Sein nächster Mitarbeiter, der Drucker Eduard Meyer, Schriftleiter radikaler Blätter, war mit Gusto Gräser befreundet, beherbergte ihn monatelang in seiner Wohnung. Die Zürcher anarchistische Szene war eng mit Ascona verknüpft, hatte in der Mühle von Ronco ihren wichtigsten Stützpunkt.

4.    Hans Arp hatte im Frühjahr 1915 vier Monate auf dem Monte Verita verbracht. Dort hatte er sich mit dem rumänischen Maler Arthur Segal angefreundet, der aus Berlin nach Ascona geflüchtet war, um dem Kriegsdienst zu entgehen. Da Arp sich ebenfalls dem Militärdienst entzogen hatte, musste er sich in der rebellischen Sektion des Berges wie zu Hause fühlen. Die staats- und militärkritische, dazuhin extrem kulturkritische Haltung auf Monte Verita verkörperte sich in dem Exoffizier Karl Gräser und seinem Bruder, dem mehrfachen Kriegsdienstverweigerer Gusto Gräser. Segal war ihr unmittelbarer Nachbar und wird einiges vom Geist seiner Landsleute aus Siebenbürgen an Arp vermittelt haben.


Fazit: Man wird sagen können, dass DADA die radikale Kulturkritik der Brüder Gräser in das Feld der Kunst übersetzt hat.
    
Maske von Janco
                                      Zeichnung von Laban                             Sophie Taeuber in Ascona

Deshalb war es nur logisch, dass die Dadaisten ihr schönstes Fest - das „Sonnenfest“ vom August 1917 - auf dem Monte Verita feierten. Dessen mitternächtlichen Hauptteil inszenierte Rudolf von Laban auf der Tanzwiese vor Gräsers Grotte mit den Tänzerinnen Mary Wigman, Katja Wulff und Suzanne Perrottet. Masken und Kostüme stammten von Marcel Janco.



IV Mistral: ein scharfer Wind aus Süden

Ein deutschbürtiger Schweizer, der Schreiner Rudolf Ronneburg, Lebensreformer und Anarchist im Sinne Tolstois, war 1901 ein Mitarbeiter gewesen beim Aufbau der Siedlung Monte Verita. Nach Zürich zurückgekehrt machte er seine Wohnung zur Herberge verfolgter Gesinnungsgenossen aus Deutschland und Österreich. Er beherbergte auch Gusto Gräser. Um ihn sammelten sich die tolstoianischen Aufständischen aus Österreich-Ungarn, unter ihnen Matthias Malaschitz. Der Arbeiterjournalist Malaschitz wurde zum heimlichen Kopf hinter der anarchistischen Zeitschrift 'Der Weckruf. Er machte dieses Blatt zum Organ der antimilitaristischen Bewegung in der Schweiz. Seine Nachfolger in der Redaktion waren Robert Scheidegger, Ernst Frick und Erich Mühsam, alle drei "Asconesen". Der 'Weckruf zog auch Brupbacher, einen Führer der Sozialdemokraten, und mit ihm die "Jungburschen", die Jugendorganisation der Partei, in diese Avantgarde der Friedensbewegung. Eine enge Zusammenarbeit entstand zwischen ihm und den Asconesen. Der Jungburschenpräsident Edmund Meyer bot Gräser monatelangen Unterschlupf. Noch 1918, als Ernst Bloch die pazifistischen Bestrebungen in der Schweiz untersuchte, fand er bei den Jungburschen, weit mehr als bei der sozialdemokratischen Mutterpartei, die Kraft zum Widerstand. "Hier wird ... links wie rechts gleichmässig überspringend, gegen jedweden Dienstzwang, gegen die Verteidigung des Landes schlechthin gearbeitet", schrieb er in seinem Bericht (Kampf, nicht Krieg 552). Hier, bei den Jungburschen, sei aber auch gewährleistet, was von Zimmerwald übersehen werde: "die Freiheit der Person, das notwendige anarchistische Gewissen in und über allem ökonomisch berechtigten Sozialismus". (Ebd. 553).



Edmund Meyer, der „Bartmeyer“ (1877-1967), Freund von Gusto Gräser und engster Mitarbeiter von Fritz Brupbacher, in seiner Züricher Wohnung. Meyer, Präsident der Jungburschen, war an den Zeitschriften , Vortrupp’ und ,Skorpion’ maßgeblich beteiligt.



Edmund Meyer nahm eine kranke Tochter von Gräser in seinen Haushalt auf und pflegte sie über ein Jahr lang
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  Redakteur: Edmund Meyer



Mühsam und Nohl, die schon Zürich mit dem Monte Verita verbunden hatten, kamen 1907 auch nach Paris, lockten den ungarischen Vagabunden und Bohemien Emil Szittya nach Ascona. Im Jahr darauf wanderte der, bettelnd und schnorrend, mit seinem Landsmann Lajos Kassak (auch er ein künftiger Dadaist) nach Paris zurück. Dort entdeckte Szittya Picasso und Chagall, brachte die ersten Artikel über diese Maler. Er befreundete sich mit Blaise Cendrars und Hans Richter, gab mit ihnen zusammen die Zeitschrift
'Les Hommes nouveaux' heraus. 1915 wieder in Zürich, rief er mit Hugo Kersten zusammen (der von Ascona kam) den "Impertinentismus" aus, der "nichts als frech sein" wollte. "Das oberste und letzte Kunstgesetz ist: jedes zu brechen!" (Hugo Kersten in Korte 12).

'Mistral
' nannten sie ihr Blatt, in dem Apollinaire, Marinetti, Kassak zu Wort kamen, eine Prädada-Zeitschrift, wie man weiß. Walter Serner war schon dabei, Laban vom Monte Verita inserierte. Kunstabende waren geplant. Es komme darauf an, nicht Richtungen zu vertreten sondern "sprungbereit und sehr jugendlich zu sein ... Energien zu geben" (in Bolliger 17). Auch darin, dass Szittya seine Ideen in Cabarets unter die Menschheit bringen wollte, ging er DADA voran und voraus. Er und Kersten beteiligten sich an dem literarischen Cabaret "Pantagruel", das anfänglich seine Vorstellungen in jener "Meierei" in der Spiegelgasse gab, wo später das "Cabaret Voltaire" sein Domizil hatte. Durch Szittyas 'Mistral' wurde Hugo Ball nach Zürich gelockt. "In Zürich scheint neuerdings viel Leben zu sein", schrieb Ball. "Mich zieht es auch dorthin. Leben, Wille, Bewegung muss sein" (Ball in Bolliger 18). Szittya, der nach den ersten Nummern von 'Mistral' sich nach Ascona flüchtete, dann auch von dort polizeilich vertrieben wurde, fand in Ball einen Nachfolger mit mehr Fortüne.

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                                                                                 Emil Szittya


Emil Szittya und Hugo Kersten brachten den Geist der Vagabundage nach Zürich und damit die Rebellion gegen alles Bürgerliche in Leben und Kunst. Sie schufen den Boden für Dada.