Diefenbachs Sterben


Brief von Adolf Schafheitlin an Marie Schede vom 22. 12. 1913

Ja, was haben wir verloren! Und wäre unser Freund wenigstens dahingegangen, wie ein schöner Sonnenuntergang; aber ach, sein Tod war, wie sein Leben, ein Sturm: unter plötzlich auftretenden, gewaltigen Schmerzen.

Nur vier Tage war D. krank, aber wie! Und doch fiel in seinen schrecklichen Todeskampf noch ein Sonnenstrahl. Eine zufällig hier anwesende freiwillige Krankenpflegerin aus Danzig, deren Bekanntschaft ich schon vor 4 Wochen gemacht, war die letzten Tage um ihn. Zu ihr sagte er noch: "Ich werde wohl diesmal nicht durchkommen; dann drücken Sie mir die Augen zu!" Und dies wird das herrliche Mädchen wohl auch getan haben. Ausserdem war noch um ihn die treue Seele, Frl. Tannenberg, und auch Helios.

Am 10. Dezember ging der kaum von einer Bronchitis Genesene bei furchtbarem Nordoststurm an den Hafen herunter, als echte Künstlernatur das grossartige Schauspiel des empörten Meeres zu geniessen. Zwei Tage darauf brach die Krankheit aus. So ward der arme Freund ein Märtyrer seiner Künstlernatur. Ein heftiger Darmkatarrh und wohl auch Bauchfellentzündung ging über am zweiten Tage in unstillbares Erbrechen von Galle (und Schlimmerem). Am Montag früh fing er an, bewusstlos zu werden, am Abend starb er in völliger Erschöpfung. - Ich glaube, unser Freund ward auch ein Märtyrer seiner extremen Vegetarier-Idee.

Ich werde den Verlust unseres Freundes nie verschmerzen.

Der Sohn Lucidus kam aus München; Stella mit ihren beiden ältesten Söhnen aus Positano, wo sie jetzt wohnen. Der Mann soll gegenwärtig in Oesterreich sein. -

Ich habe in der Leichenhalle auf dem protestantischen Teil des Friedhofes an der Bahre die öffentliche Ansprache gehalten, und glaube so, meinem Freunde noch ein Zeichen meiner Verehrung und Liebe gegeben zu haben. Die irdische Hülle Dfbs soll in Rom oder Mailand durch Kremation aufgelöst werden.

Ihre liebreichen und humorvollen Briefe, deren einige mir Diefenbach zu lesen gab, waren für ihn immer eine große Freude. Sie haben seine letzten Tage erheitert. Mag Ihnen dieser Gedanke Trost sein in dem großen Schmerze!

Auf meinen Rat wurde ein Bildhauer aus Neapel beordert und die Totenmaske aufgenommen. Sie ist gut gelungen, aber ach, wie schmerzvoll. Wir wollen ihn nur sehen, wie wir ihn gewohnt waren: strahlend in Kraft und Lebenslust, ein Held.

Seien Sie, liebes Fräulein, freundlichst gegrüßt

Von Ihrem ergebenen

Adolf Schafheitlin

(Original im Spaun Archiv Dorfen)


Die Todesursache

Aus dem Brief eines unbekannten Verfassers vom 5. Mai 2003:

Inzwischen sprach ich mit diesem Dr., der sich mit einem anderen Dr. besprach, und beide gelangten zu einer eindeutigen Diagnose: Kolonkarzinom, genauer: Rektalkarzinom. Blinddarm ist Quatsch, und mit Syphilis hat es auch überhaupt nichts zu tun. Der Darmvorfall heißt Prolabs; da prolabiert was, da das Karzinom von oben drückt, daher auch Genitalödeme. Die detaillierten Darlegungen meiner Ärzte hörten sich seelisch nicht erhebend an. Bis heut hat man das offenbar nicht im Griff. Ob Diefenbach und Gräser je zu normalen Ärzten und Zahnärzten gingen, weiß ich nicht zu vermuten. Mich selbst verwunderte bloß, daß ausgerechnet diese gesunde Pflanzenkost sowas zuließ; offenbar ist doch Konstitution maßgebender als alle Ernährung, bzw. vergammelte Nüsse sind sehr karzinogen. Die Rolle der Vitamine war ja zu der Zeit auch noch nicht so bekannt


Letzte Niederschrift

Diefenbachs Tagebuch, 11. 12. 1913:

Gegen 5 Uhr kam Sela mit der Abels, welcher ich sagte, daß ich sie jetzt in der Dämmerung hätte aufsuchen wollen, da ich sie dringend sprechen müsse. Sie fühlt sich elend, übermüdet, unfähig mit Helios weiter zu verhandeln. Sein Rasen lähmt Alle. Ich müsse direct mit ihm verkehren, wenn mir dies persönlich nicht möglich sei, dann schriftlich durch Graser (!). (Tgb Nr.31, S.899)

Als ich zur Charakterisierung und Erklärung der Trotz-Stellung Helios' gegen mich seit 22 Jahren die Handlungsweise seiner Mutter in der Nacht vor seiner Geburt schildern wollte, wurde ihr übel; sie lief, meine Begleitung abwehrend, hinaus, von Sela gefolgt, die gleich darauf zurückkam, ein Glas Wasser zu holen.

Mit zitternder Hand mußte ich bei fast völliger Dunkelheit noch einige durch den Besuch unterbrochene Pinselstriche an dem kleinen Bilde machen, um Härten nicht antrocknen zu lassen. Mein Kunstschaffen seit 38 Jahren! Und dabei solche Kritik meiner Rückständigkeit gegen "Fidus"! Es ist zum Wahnsinnig-Werden.

Nach kurzer Zeit kamen die beiden Freundinnen wieder in meine Werkstätte zurück, jede ihr Päckchen holend. ... Sela versprach, heute morgen wiederzukommen. Ja, ich "verbrauche viele Menschen"! -

Mir drehte sich alles um mich. Ich ließ mir durch Graser die Schuhe wechseln, den Wintermantel umhängen und suchte, gestützt auf seinen Arm, Erholung im Freien von der Höllenmarter meines Hauses. Ein großartiger Himmel - Nachsonnenuntergang und spiegelglattes Meer ließ mich den Weg zur Piccola Marina ... [unleserlich] ... nehmen. Allein mit mir und ... [unleserlich] ... zu Bett!

(Tgb Nr.31, S.900 - letzte Eintragung von der Hand Dfbs)

Top