Letzte Liebe

Martha Rogalla von Bieberstein

Rund zwei Monate vor seinem Tod lernt Diefenbach eine ostpreußische Gutsbesitzerin kennen, die er sofort als seelenverwandtes Wesen empfindet. In ihr glaubt er endlich den so lang ersehnten "weiblichen Diefenbach" gefunden zu haben. Frau von Bieberstein ist künstlerisch begabt und begeisterungsfähig, eine Dichterin und Klavierspielerin, zugleich souverän genug, um den immer stürmischen Meister in den Grenzen der Freundschaft zu halten. Sie führt zeitweise sein Tagebuch, unterhält und berät ihn, begleitet ihn auf seinen Spaziergängen. Wenige Wochen nach ihrem Abschied ereilt ihn der Tod.

31. 10. 13   Tagebuch: Um 4 Uhr kam Frau von Bieberstein. Ihr erstes nach einer warmen herzlichen Begrüßung war, daß sie sich enthütete; dann zeigte sie mir eine große Anzahl selbstgemachter photographischer Bilder ihres Landgutes in Ostpreußen, mit großartigen Wildparkanlagen und vornehm-künstlerischen Innenräumen; Bilder von Arco, Meran und Gardasee; dann las sie mir einige ihrer Gedichte, z.T. gedruckt, vor: Alles mir wie aus der Seele geschrieben, eine reine, große, hochbegeisterte Natur, die weder Pfaffendogmen noch theosophische Hypothesen braucht, um sich eins zu fühlen mit der Gottheit im Weltenall und sich glücklich zu fühlen auf dieser Erde. ... Wir drückten uns beim Abschied die Hände als nahe Seelenverwandte. Ein "weiblicher Diefenbach".                             (Tgb. 31; S.666)

1. 11. 13   Dfb an Frau von Bieberstein:

Wertgeschätzte Frau von Bieberstein! Ihre beiden Besuche in meiner Matratzengruft haben mich Sie als ein mir derart seelenverwandtes Wesen empfinden lassen, daß ich nicht fürchte von Ihnen mißverstanden zu werden, wenn ich Ihnen meinen Wunsch ausspreche, jeden Tag Ihres Aufenthaltes auf Capri, wenn Ihnen möglich, Ihren lieben Besuch zu empfangen.

Durch mein ganzes Leben hindurch "unter Larven die einzige fühlende Brust", d.h. unverstanden und mißverstanden selbst von meinen Eltern bis kurz vor deren Tod und von meinen Geschwistern heute noch, seit 38 Jahren mißhandelt von meiner jeweiligen Umgebung ... empfinde ich eine mir gleichfühlende, aber glücklichere, Seele wie die Ihrige so intensiv, daß ich mich über die Formen der (mir sehr wohl bekannten) conventionellen Etiquette hinwegsetze, selbst auf die Gefahr hin, abermals mißverstanden zu werden, um meiner Sehnsucht nach Gedankenaustausch mit einem "weiblichen Diefenbach" Ausdruck zu geben. Dazu kommt bei Ihnen Ihr wunderbares Musikempfinden und Ihre technische Ausdrucksfähigkeit, um jeden Ihrer Besuche mir zu einem höchsten Seelen-Labsal zu machen. (667) ...

Haben Sie Mut und Lust, so führe ich Sie am Nachmittag zum "Cap Diefenbach", einer weit ins Meer hinausragenden Felsenklippe, auf welcher ich viele Tages- und selbst Nachtstunden zugebracht, um meine von meiner häuslichen Umgebung besonders von meiner "christlichen" (zweiten) Ehefrau gewürgte Seele aufschreien zu lassen. ... Fürchten Sie nicht, daß ich draußen in Gottes freier Natur Ihnen mein Elend vorjammere, wie innerhalb meiner Kerkermauern! Ich sehne mich danach, wieder einmal aufjauchzen zu können, was, von Menschen fern, in Ihrer Umgebung auf der einsamen Felsenklippe mir möglich ist. -

Es umarmt Sie im Geiste "das Ungeheuer", der "Narr von Capri".  (Tgb. 31, S.668)

3. 11. 13  Tagebuch: Stumm blicken wir beide  (wer?) auf das Meer, das spiegelglatt wie ein ruhendes Ungeheuer sich unter uns ins Unendliche ausdehnt. Große, heilige Stimmung in uns beiden, die mein Herzklopfen beruhigt und mein Gehirn vom Schwindel befreit. So stundenlang liegen und träumen können!                                                      (Tgb 31, S. 675)

 

16. 11. 13

An Meister Diefenbach

Nicht einem Maulwurfe gleich zerwühle das Reich des  Vergangnen!
Finster ist es und rauh, dort würgst und erstickst Du Dich selbst!
Nur auf der Gegenwart Boden stell fest Dich in fröhlichem Schaffen!
Dann erst mit Adlerflug kann streben Dein Genius zum Licht!

Martha Rogalla von Bieberstein, geb.
Boehm.
Capri, 11. Nov 1913
 

(Tgb. 31, S.731)

21. 11. 13  Tagebuch:

Die unter meinen ungeübten Fingern hervorquellenden Töne erquickten mich so sehr, daß ich mein Elend leichter damit betäuben kann als mit Malen, aber um den Haufen Wechselschulden für mein sybaritisches Leben zu bezahlen, muß ich mich peitschen und spornen zum Geldverdienen.

2 Stunden später.

Frau von Bieberstein kam, sich von mir zu verabschieden, was ihr sichtlich schwer wurde. ... Ich begleitete sie bis an ihr Hotel, wo ich zu meinem Entsetzen erfuhr, daß mit der Abels auch Helios zurückgekommen sei, was Graser mir aus "Schonung" verschwiegen hatte. ... Um meinem Sohn nicht zu begegnen, schlug ich einen Umweg ein ...        (Tgb. 31, S.793f.)